MÜNCHEN – Hängebacken, Tränensäcke, spärliche Zotteln auf dem Kopf: Fast jeder vierte Bundesbürger ist unzufrieden mit seinem Aussehen. 24 Prozent würden sich gerne einer Schönheits-OP unterziehen, ergab eine Emnid-Umfrage.
Münchner Männer tun es. Das starke Geschlecht überlässt das Feld der Schönheitschirurgie nicht mehr den Frauen, dem sogenannten schönen Geschlecht. Im Kampf gegen den Makel holen sie verstärkt Hilfe von plastischen Chirurgen. „30 Prozent meiner Kunden sind mittlerweile Männer”, sagt Dr. Matthias Wagner, Facharzt für Plastische Chirurgie in München. „Vor fünf Jahren war das noch anders”, betont Dr. Matthias Wagner gegenüber der Abendzeitung. „Es gab mal Haartransplantationen oder das Anlegen abstehender Ohren. Aber Männer waren immer nur ein kleiner Teil meiner Kundschaft.“ Doch inzwischen ärgern sich auch viele Herren der Schöpfung genauso wie Frauen über Fett in der Bauchgegend (auch bezeichnet als „Stau am Mittleren Ring”) und lassen es absaugen.
Auch klassische Korrekturformen, die eigentlich nur Frauen betrafen, erproben Männer. „Häufig soll die Brust verändert werden”, sagt Dr. Matthias Wagner. Ebenfalls stehe die Nasenkorrektur auf der Wunschliste – Michael Jackson lässt grüßen!
Den Schönheitstrend bestätigt auch Dr. Markus Klöppel, Facharzt für Plastische Chirurgie und Ästhetische Operationen in Grünwald: „Männer trauen sich jetzt häufiger”, sagt Klöppel, bei dem auch Face-Lifting gefragt sei. Das erstaunliche: „Die Kunden sind meist nur zwischen 20 und 40 Jahre alt”, sagt Wagner.
Ob nun Münchens Männer Face-Lifting wirklich nötiger haben als andere Männer, oder ob sie sich nur eher trauen, sei dahingestellt. Fest steht: Münchens Schönheitschirurgie boomt: Nirgendwo in Deutschland arbeiten so viele Schönheitschirurgen wie in der bayerischen Metropole und Umgebung. Alleine 72 Bayerische Vertreter zählt die „Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschlands”, die bundesweit ungefähr 400 Mitglieder hat. Über durchschnittlich vertreten sind die Münchner mit dem Skalpell auch in der „Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgie”. Von den deutschlandweit 100 Mitgliedern kommen 19 aus München und Umgebung.
Was treibt die Männer zum Schönheitschirurgen? „Sie haben ein stärkeres Körpergefühl entwickelt”,
glaubt Markus Klöppel. Matthias Wagner meint: „Sie versprechen sich durch Korrekturen einen Evolutionsvorteil. Wer gut aussieht, bekommt eher eine Frau.” Andere haben schlicht mangelndes Selbstbewusstsein, sagen Experten. Eine Verschönerung nimmt ihnen ihre Minderwertigkeitskomplexe. Für sie ist der Schönheitschirurg quasi ein Psychotherapeut – allerdings mit einem Skalpell in der Hand.
Abendzeitung München – Natalie Dertinger – 2003